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New Work & öffentliche Behörden- ein Interview mit Sana Tornow

Für dieses Interview haben wir uns mit Sana Tornow, Fellow und Agile Coach im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Berlin, zusammengesetzt, um mit ihr über New Work und die Umsetzung dieser Strategien in Behörden zu sprechen.

"New Work ist eine Methode und ein Mindset, das uns helfen kann, die allgegenwärtigen Krisen unserer Zeit zu bewältigen."


Lesen Sie weiter, um weitere Einblicke in Sanas New-Work-Praxis, berufliche Aha-Momente und die Zukunft von New Work in öffentlichen Verwaltungen zu erfahren.

Kannst du uns von einer der schwierigsten Zeiten in deiner Karriere erzählen und wie du sie überwunden hast?


Wenn ich darüber nachdenke, gab es mehrere herausfordernde Momente in meiner Karriere bisher. Lasst mich euch von zwei berichten.

Einer war wohl im Frühjahr 2010, als mir klar wurde, dass ich nicht mehr als klassische Grafikdesignerin arbeiten möchte, ohne mein Know How aus der Medieninformatik anwenden zu können. Zudem merkte ich verstärkt, dass ich nicht mehr in der Werbung arbeiten wollte. Wir hatten zu der Zeit einen neuen Kunden für die Agentur bekommen und der Auftrag war, Werbung für Waffen zu machen. Das war das Tüpfelchen auf dem »i«, was mich final zur Kündigung bewogen hat. Ich wollte etwas Schöneres machen und mich mit guten Dingen umgeben. Also beschloss ich, die Branche zu wechseln und begann ein Praktikum bei einem sehr erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchverlag. Es war seit meiner Kindheit ein Traum, einmal in einem Verlag zu arbeiten. Für die Arbeit im Verlag musste ich jeden Tag 160 km pendeln und auf einmal mit viel weniger Geld haushalten, da ich als Praktikantin natürlich sehr viel weniger verdient habe, als in meiner Festanstellung als Designerin. So arbeitete ich am Wochenende noch in einer Bäckerei, um mir das Praktikum leisten zu können. Die erste Zeit im Verlag habe ich im Bereich Comic, Manga und Online-Marketing gearbeitet, aber aufgrund meines starken technischen Hintergrunds wurde ich nach einiger Zeit gefragt, ob ich nicht auch in der IT sowie der Digitalabteilung als Projektmanagerin arbeiten wollte. Das wollte ich natürlich und so kam es, dass ich schließlich zwei 50% Stellen hatte, eine in der IT Administration und eine als Projektmanager für digitale Produkte. Das ging auch eine zeitlang gut.

Im Frühjahr 2013 wuchs in mir jedoch der Wunsch, ausschließlich als Product Owner in einem agilen Team zu arbeiten und nicht mehr diese Zerrissenheit der beiden 50/50-Aufgabenbereiche zu haben. Es war unglaublich anstrengend und zermürben und ich würde sagen, eine weitere herausfordernde Zeit in meiner Karriere . Es gab keine Perspektive, im aktuellen Verlag eine Veränderung der Situation zu bewirken und so beschloss ich schweren Herzens das Unternehmen zu verlassen. Ich wechselte in einen anderen Kinder- und Jugendbuchverlag, bei welchem ich Teil eines großartigen agilen (Entwickler-) Teams sein konnte. Dennoch fiel mir diese Entscheidung nicht leicht, denn ich wusste, dass ich, wenn ich einmal fort gehe, nie wieder zurückkehren kann. Selbst heute noch bedauere ich von Zeit zu Zeit, dass wir keine Lösung gefunden haben, da das Unternehmen einer der besten Arbeitgeber war, den ich je hatte. Wäre ich damals geblieben, hätte ich natürlich niemals all die Erfahrungen sammeln können, die anschließend folgten. Denn nach meiner langjährigen Zeit als Product Owner folgte eine Zeit als Head of Marketing, dann einige Jahre eine Zeit als Business Owner und Project Lead bis hin zur interims Geschäftsleitung. Während meiner Zeit als Project Lead und Teamleiterin machte ich zunehmend Erfahrungen im Bereich der Organisationsentwicklung und bildete mich zudem im Bereich Moderation und dem Aufbauen von Workshops weiter. Durch diesen Hintergrund und mein Engagement im Bildungsbereich kam es, dass ich für die Hansestadt Hamburg einen Auftrag für die Jugendarbeit bekommen habe, bei welchem es darum ging, in Zusammenarbeit mit der Zielgruppe ein neues digitales Angebot der Stadt für die Heranwachsenden zu entwickeln. Meine Erfahrung aus der Zeit hat in mir den Wunsch geweckt, schwerpunktmäßig Menschen und Teams - insbesondere in agilen Kontexten - zu begleiten. So entschied ich mich, meine Fähigkeiten im Bereich Organisationsentwicklung, New Work und agile Arbeitsmethoden weiter auszubauen. Diese Entscheidung hat mich dahin geführt, wo ich heute bin. Und ich mache weiter.

Wenn ich das Gefühl habe, beruflich stucked zu sein und nicht weiter zu wissen, gönne ich mir ein Coaching. Ich habe eine Business Coach, die mich durch gezielte Fragestellungen und einen gekonnten Perspektivenwechsel stets wieder auf meinen Weg führt.

Wie definierst du New Work?


New Work beschreibt für mich im Wesentlichen zwei Sachen. Die erste ist die Haltung. Es geht darum, die eigene Haltung zum Thema Zusammenarbeit zu überdenken und weiterzuentwickeln. Es ist eine einladende Haltung und ein JA zum Team. Gemeinsam Erfolge feiern und Learnings generieren. Es ist das Loslassen des Einzelkämpfers und der Gewinn des WIRs – und das wirklich. Es geht darum, sich selbst dem Konzert der Klugheit auszusetzen, anstatt dem Megafon der Macht, wie Dr. Marco Behrmann für mich perfekt beschrieben gesagt hat.
Und es ist die Frage nach dem, was wir wirklich, wirklich wollen, um in den Worten von Frithjof Bergmann zu sprechen. Es geht darum, einen Sinn in unserer Arbeit zu erleben, selbstwirksam zu sein sowie selbstbestimmt agieren können. New Work ist die Arbeitsweise und Haltung, die uns helfen kann, den allgegenwärtigen Krisen unserer Zeit zu begegnen und diese zu bewältigen. Es geht darum, das Individuum mit der Arbeit und schließlich mit der Gesellschaft zu verbinden.

Obwohl die Pandemie sicherlich eine Herausforderung war, glaubst du, dass es dazu beigetragen hat, die Akzeptanz von New Work in Deutschland zu beschleunigen? Und wenn ja, wie?


Absolut. Es gab bisher in meinem Leben keinen Moment, der so einen kollektiven »Restart« hervorgerufen hat. In meiner Wahrnehmung haben nie zuvor so viele Menschen - weltweit - über ihr Leben und ihren Beruf nachgedacht, wie 2020, dem ersten COVID-19-Pandemie-Jahr. Es kommt nicht von ungefähr, dass diese Bewegung eine eigene Bezeichnung »Great Resignation«, »Big Quit« und »the Great Reshuffle« bekommen hat.


Ich konnte dies zudem selber in meinem eigenen Business-Netzwerk und Freundeskreis beobachten - und nicht zuletzt bei mir. Die Menschen fragen sich, was sie wirklich, wirklich wollen und erkennen, dass das, was sie gerade leben, oder wo sie gerade sind, nicht das ist, was sie leben oder wo sie sein wollen und was sie machen möchten. Die Kostbarkeit des Seins sowie die rasche Vergänglichkeit von Allem, ist mehr denn je ins Bewusstsein der Menschen gerückt.


Wir haben bei scoyo GmbH 2018 bereits New Work gelebt. Ich fand das so elektrisierend und Augen öffnend, dass ich nach dem Verkauf der Firma 2020 nicht wieder in anderen, für mich alten, Strukturen arbeiten konnte. Das Ausüben sinnstiftender, gleichberechtigter Arbeit im Kollektiv und das Erleben, dass das Individuum zählt und jeder Beitrag eine Bedeutung für das große Ganze hat, sind als Wunsch und Vision in den Herzen vieler Menschen zu finden. Insbesondere in der Verwaltung.

Wo siehst du den Rückstand der deutschen Behörden gegenüber anderen Industrieländern?


Ich sehe, dass unsere Behörden stabil sind. Es gibt auf jede Frage eine Antwort und für jedes Anliegen ein Formular. Unsere Behörden sind für alle Eventualitäten gewappnet und abgesichert. Damit sind sie sicher und zuverlässig. Wir haben in Deutschland so gut wie keine Korruption und sind ein Sozialstaat, in dem eigentlich niemand hungern oder auf der Straße leben muss. Auch wenn die Formulare und Behördengänge manches mal so erschlagend und demütigend sind, dass man die Straße vielleicht lieber vorzieht. Ich war selber Hartz IV Empfängerin und weiß noch, wie unglaublich entwürdigend ich die Zeit fand. Das Bürgergeld ist ein guter erster Schritt, ich hoffe, es werden weitere folgen.


Was ich in meinen 6 Monaten im Ministerium erlebt habe sind Menschen, die unglaublich motiviert und anpackend sind. Manch eine Firma würde sich wünschen, dass ihren Mitarbeitenden das WARUM (WHY) so klar ist, wie hier. Was ich in Deutschland sehe ist, dass den Mitarbeitenden hier oft die Hände gebunden sind. Das sie in komplizierten, zum Teil Machtstrukturen oder politischen Befindlichkeiten stecken und nach Wegen suchen müssen, wie sie ihre Ziele, im Sinne des Wohls der Bürgerinnen und Bürger, dennoch voran treiben können.

Was war der denkwürdigste Meilenstein in deiner bisherigen Karriere?


Der Moment, als ich erkannt habe: Karriere ist keine Leiter, es ist ein Klettergerüst. Ich darf von ABC richtig begeistert sein und XYZ ebenso gut finden. Karriere muss kein entweder,oder sein, es darf Vielfalt sein und darf - anstatt immer nur nach oben - sehr wohl auch in die Breite, nach rechts, links und auch mal nach unten gehen. Karriere bedeutet für mich wirkmächtig und sinnstiftend zu sein und stets in neugieriger lernender Haltung zu bleiben. Oder mit den Worten Gerhard Hauptmanns »Bist du Meister in einer Disziplin, werde Schüler*in in einer anderen«.

Weil wir bei Mentessa immer am Lernen sind, was liest du gerade? Oder welchen Podcast hörst du im Moment?


Ich lese meist 2 Bücher gleichzeitig. Aktuell treibe ich es etwas auf die Spitze und lese sogar 3, dafür pausiere ich aber mit den Podcasts. Ich lese gerade »New Work needs Inner Work« von Joana Breidenbach und Bettina Rollow. Wie passend zu diesem Interview 😉. Zudem »Agile Organisationsentwicklung« von Bernd Oestereich und Claudia Schröder. Zum Entspannten und als Ausgleich dazu »5 Things« von Bronnie Ware. Als nächstes steht »Reinventing Organizations« von Frederic Laloux auf der Liste. Ich habe das Gefühl, dass dieses Buch eine absolut Bildungslücke ist, die ich gern schließen möchte.

Was sind deine Lieblingsveranstaltungen zum Thema Zukunft der Arbeit?


Es gibt einige Veranstaltungen, bei denen ich versuche, fast jedes Jahr dabei zu sein. Ich denke, dass sie die Zukunft der Arbeit mehr oder weniger im Fokus haben. Ich mag sie, weil ich eine Idee davon bekomme, was als nächstes kommt. Future!publish, JUG Saxony Days, BIG&GROWING Festival (natürlich), Buchmessen in Leipzig und Frankfurt und das OMR (Online Marketing Rockstars Festival). Agile Beyond IT, Social Media Week, PLAY Gaming Festival und natürlich viele verschiedene BarCamps.

Welche Prognosen stellst du für New Work und die öffentlichen Behörden im Jahr 2023?


Die Verwaltung hat erkannt, dass sie, wenn sie nicht handeln und sich nicht für neue Arbeitsweisen öffnen, sie nicht zukunftsfähig sind. Es kommen keine qualifizierten Nachwuchskräfte nach und Gute gehen. Schon jetzt gibt es das Problem, dass Stellen, gerade ab dem gehobenen Dienst, unbesetzt bleiben. Deshalb setzten die Behörden an drei Stellen an. Work4Germany wird 2023 in die 4. Kohorte starten. Die Ministerien selber haben gefühlt 1/3 von uns Fellows aus den 3 bisherigen Kohorte behalten und wollen weiter mit uns Agiles Arbeiten und Agile Haltung in die Behörden tragen. Zudem wird es eine zentrale Ausbildungseinheit der Behörden für Agile Coaches geben, welche im Januar 2023 startet. Es ist großartig, bei dieser Bewegung dabei sein zu können und ich hoffe, dass wir das Konzept von Work4Germany von der Landesebene auf die kommunale Ebene übertragen werden können. Der Bedarf ist da und wir machen weiter, gemäß meinem Motto #allesliegtvoruns.

Über Sana Tornow


Sana Tornow ist Expertin für digitale Medien, Transformationen und Organisationsentwicklung sowie eine leidenschaftliche Verfechterin von emotionalisiertem und nachhaltigem Lernen. Sie studierte Kommunikationsdesign, Medieninformatik und digitalen Journalismus. Im Jahr 2021 veröffentlichte sie gemeinsam mit den Coaches von smidig.de das Buch "DAILY PLAY - Agile Spiele für Coaches und Scrum Master".

Sana Tornow
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