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Wie funktioniert Vergütung in Zeiten von New Work?

"Aus der alten Arbeitswelt haben viele Menschen noch verinnerlicht, dass über Gehälter nicht gesprochen wird. Das scheint auch sicherer, denn wenn wir nicht wissen, was die anderen verdienen, können wir uns auch nicht darüber streiten."

Liebe Julia, Sie haben gemeinsam mit ihrem Team ein individuelles Vergütungs-Modell erarbeitet, dabei hatte jeder Mitspracherecht. Gehälter bestimmen mit Purpose. Wie sind Sie dabei genau vorgegangen?

Bei MovingMountains sind wir sind es gewöhnt, hierarchiefrei, selbstorganisiert, mit verteilter Führung und selbstverantwortlich zu arbeiten. Wir lieben unsere Arbeit und unser Team, wir gehen regelmäßig durch tiefe Prozesse von persönlichem und gemeinsamem Wachstum. Aber als es um’s Geld ging, war das plötzlich gar nicht mehr so einfach.

Durch den Überschwang des gemeinsamen Tuns hatte Geld zunächst keine so große Bedeutung für uns. Uns war wichtig, dass es ein innovatives Modell für Entlohnung und Gehälter gibt, so wie es auch Unternehmen wie Medium, soulbottles, meinBGE, Leadership³, elbdudler, oose und viele andere machen. Im Vertrauen, dass wir das schon geregelt bekommen, haben wir zunächst kaum Vereinbarungen getroffen und unseren “Finanzprozess” immer wieder ans Jahresende verschoben.

“Immer wieder” hätte uns eigentlich schon ein Zeichen sein sollen. Denn jedes Mal, wenn wir über die Verteilung von Geld gesprochen haben, sind wir uns in die Haare geraten.

Rückblickend ist uns klar geworden: Am Thema Geld kristallisieren sich so viele Ängste und Glaubenssätze, dass es gefährlich erscheint, sich auch nur in die Nähe davon zu begeben. Zu viel steht für jede*n von uns auf dem Spiel! Das dachten wir zumindest. Uns wurde aber klar, was es braucht: Wir müssen diese Ängste und Glaubenssätze in die Diskussion über Geld mit einbeziehen.

Daraufhin haben wir einen Finanzprozess entwickelt, der genau das berücksichtigt:

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Wir haben uns einen ganzen Tag Zeit genommen, uns in unseren jeweiligen Sorgen zu zeigen, uns für unsere Arbeit gegenseitig Wertschätzung auszusprechen und den jeweiligen Beitrag zu unserer Unternehmung einzuschätzen. Auf dieser Basis konnten wir dann mit Leichtigkeit und Liebe  konkrete Zahlen nennen und Geld verteilen.

Und was ist an dem Modell nun so “anders”?

Aus der alten Arbeitswelt haben viele Menschen noch verinnerlicht, dass über Gehälter nicht gesprochen wird. Das scheint auch sicherer, denn wenn wir nicht wissen, was die anderen verdienen, können wir uns auch nicht darüber streiten. Insgeheim beschäftigt uns die Frage natürlich trotzdem, denn solange wir davon ausgehen, dass unser Wert (auch) am Geld gemessen wird, macht es einen Unterschied, wie viel wir im Verhältnis zu anderen verdienen. 
So war es zunächst auch bei uns. Anders war aber von Anfang an, dass wir komplett transparent mit dem Thema Geld umgegangen sind. Wir sind in unserem Unternehmen gleichberechtigt und uns ist wichtig, dass wir Vergütung nicht nur an Parametern wie Zeiteinsatz oder Berufserfahrung koppeln. Stattdessen wollen wir auch schwerer bestimmbare Größen wie unseren Einsatz von Energie, unser Commitment, den Impact, den unsere Arbeit hat, sowie unseren je individuellen Bedarf berücksichtigen.

Warum macht “Purpose” dabei so viel Sinn?

Ich sehe die Verknüpfung in unseren Werten, die unseren Purpose ganz entscheidend mitbestimmen. Oft sind uns diese aber nicht bewusst. Stattdessen steuern sie uns unterbewusst und bestimmen dann auch unsere Reaktionen auf das, was uns im Außen begegnet. Wenn es um’s Geld geht, zeigen sich die dahinter liegenden Annahmen und Überzeugungen, die uns prägen, sehr deutlich. Uns diese bewusst zu machen und einzubeziehen, hat uns enorm geholfen.

Sind Sie und ihr Team mit dem Ergebnis zufrieden?

Ja, auf jeden Fall! Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, mit dem sich alle wohlfühlen, das unseren Einsatz von Energie, Zeit, Commitment und Impact genauso berücksichtigt wie individuellen Bedarf und unsere Ängste, die an das Thema Geld gekoppelt sind. Aber diesmal in vollem Bewusstsein und gegenseitigem Verständnis.

Und was ist Ihr eigener Purpose?

Ein wichtiger Teil meines Purpose ist es, mit meinem Team in tiefem Vertrauen zu arbeiten. Dazu gehört, dass wir uns selbst gut kennen, unseren eigenen Entwicklungsweg weiter gehen und uns darin gegenseitig unterstützen. Für mich ist das die wichtigste Voraussetzung, um andere Menschen und Teams auf ihrem Weg zu begleiten.

Wie stellen Sie sicher, dass Sie auf Ihrem Weg bleiben?

Wir nehmen uns regelmäßig Zeit dafür. Der kleinste und ein sehr wichtiger Aspekt ist, dass wir jedes unserer Meetings mit einem persönlichen Check-in beginnen und mit einem Check-out beenden. So wissen wir voneinander wie es uns geht und wo wir gerade stehen. Wir arbeiten aber auch regelmäßig an unseren Glaubenssätzen in Bezug auf unsere Arbeitsweise, unsere Kommunikation und unseren Umgang miteinander, und wir nehmen uns Zeit, die Spannungen aufzulösen, die zwischen uns stehen. Auf den ersten Blick erscheint es oft als aufwändig, vielleicht sogar überflüssig, vorallem wenn das operative Geschäft ruft. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich auf der ganzen Linie auszahlt. Denn wenn wir darauf verzichten, bekommen wir die “Quittung” an anderer Stelle.

Ihr Tipp für andere Anstifter in der Zukunft der Arbeit?

In Bezug auf Vergütung braucht es aus meiner Sicht vor allem Mut zur Transparenz. Und damit verbunden die Bereitschaft, sich den eigenen Sorgen und Glaubenssätzen in Bezug auf Geld zu stellen. Darüber lernt man sich selbst und auch die Kolleg*innen sehr gut kennen und es schafft ein Vertrauen im Team, das sich auch auf alle anderen Arbeitsbereiche positiv auswirkt.

Aus unserem Finanzprozess empfehle ich folgende Schritte, die wir als hilfreich erlebt haben:

  • Sorgen, Ängsten und Wünschen Raum geben
  • Wertschätzung an den Anfang stellen
  • verschiedene Themen getrennt voneinander beleuchten (wie z.B. Investment und Bedarf)
  • individuelle Verhältnismäßigkeit von der Verhältnismäßigkeit im Team trennen
  • erst in Verhältnissen sprechen, dann in konkreten Beträgen
  • Mein Tipp: Es lohnt sich, hier Zeit zu investieren!
Wenn ihr in eurem Team auch schwierige Erfahrungen mit dem Thema Geld gemacht habt, unterstützen wir euch gerne bei eurem nächsten Finanzprozess.

Über Julia Bayer

Co Founder bei Moving Mountains I LinkedIn


Dr. Julia Bayer ist Co-Founder, Prozessbegleiterin und WanderCoach bei MovingMountains. Sie begleitet Teams in Entwicklungsprozessen zu Purpose, Leadership und NewWork. Vorzugsweise in den Bergen, mit der transformativen Kraft der Natur und in Bewegung.Als promovierte Ethnologin und Interkulturelle Trainerin hat sie Studierende der LMU in Media Diversity und Visueller Ethnologie unterrichtet, sowie in postkonflikt Situationen u.a. im Kosovo, Kirgistan, Georgien, Jordanien und Ägypten Medienschaffende zu Konfliktsensibler Berichterstattung fortgebildet.
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